ALTE MEISTER

Vittore Carpaccio (1465 - 1526)

In der Renaissance nahm die Malerei eine bedeutende Entwicklung seit der Antike ein. Mit der Weiterentwicklung der Techniken innerhalb der Ölmalerei vermehrte sich auch die Betonung individueller Charaktere in der Menschendarstellung. Ebenso wandte sich die Malerei der Zentralperspektive sowie der Darstellung allegorischer Motive der Antike zu. Etwa um 1500 begann die große Zeit der Leinwandmalerei. Zu den Künstlern, die schon früh die Leinwand als Bildträger verwendeten, gehört Vittore Carpaccio.

Er zählt zu den Hauptmeistern der Venezianischen Schule um 1500 und hat neben wenigen anderen Malern das künstlerische Niveau Venedigs geprägt. Seine großen Gemäldezyklen überliefern die bekanntesten sowie eindrucksvollsten Darstellungen dieser Stadt, womit er ihr auch ein Denkmal setzte. Die italienische Renaissance ist für die Entstehung der Selbstdarstellung von größter Bedeutung. Mit dem in dieser Zeit stattfindenden Wandel der menschlichen Auffassung, sowohl von sich selbst als auch von der ihm umgebenden Welt, veränderten sich auch die Bedingungen und Formen der Darstellung des Menschen in der Kunst.

Vittore Carpaccio

Eine Ritterdarstellung (Hochrenaissance/1510)

Öl auf Leinwand (219 x 145 cm)

Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid

Bildquelle: https://es.wikipedia.org/wiki/Retrato_de_caballero_(Carpaccio)#/media/Archivo:Vittore_Carpaccio_-_Young_Knight_in_a_Landscape_-_Google_Art_Project.jpg


Carpaccio ist hier von einem ausgesprochen hohen dichterischen Gehalt geprägt. das Bild zeigt einen jungen Mann, der bewaffnet ist und im Begriff, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen. Er wirkt kontrolliert und beherrscht die Landschaft, welche Carpaccio minuziös dargestellt hat. In der Tier- und Pflanzenwelt im Bildhintergrund und seitlich zur Ritterfigur ist jedes Detail zu erkennen. Mit eben dieser Deutlichkeit hebt sich links das Profil eines Reiters deutlich gegen die Mauern der Burg ab. Diese wirkt märchenhaft. Die Lanze bildet den linken Schenkel des sagittalen Dreiecks, der klassischen Komposition in der Renaissance.

Das Schwert und die leicht gekrümmt Vertikale des Baumes oberhalb des Reiters bilden den Abschluss. Damit rahmen sie den Kopf und den Rumpf des jungen Ritters ein. Gegenüber dem reitenden Soldaten schichten sich die Hügel terrassenförmig empor. Auf ihnen ist eine Stadt errichtet, die sich auf der glatten Wasseroberfläche wiederspiegelt. Im Bildhintergrund verschmilzt sie mit den Bergen. Das kompositorische Dreieck ist das zentrale Bild innerhalb eines rechteckigen, des eigentlichen Bildes.

Die Lanze des Reiters setzt sich sogar durch das Blattwerk fort, wo sie am oberen Ende einen Einschnitt zu versuchen scheint. Das Dreieck des Ritters zeigt sich nicht geschlossen. Es wird als solches erkennbar, da der Betrachter seine Vektoren intuitiv ergänzt.

Oberhalb des Bildes zeichnet sich der Todeskampf zwischen einem schwarzen Falken und einem weißen Kranich ab. Der Kranich ist bereits von einem Pfeil durchbohrt und trudelt besiegt gen Boden, während beide Vögel immer noch eine dynamische Einheit bilden.

Im Zusammenspiel mit den anderen im Bild auftauchenden Tieren symbolisiert dieser Kampf Vernichtung und Tod. Der Kampf ist das Gesetz. Diese Macht des überlegenen Vogels kann formal auf den jungen Ritter übertragen werden. Die Flügelstellung des Falken wiederholt dieselbe Winkelanordnung, wie sie die Lanze und das Schwert zueinander aufweisen. Im Himmel verteilen sich Federn, die der Kranich im Kampf verliert. Es ist die Allgegenwärtigkeit der Macht, welche dadurch  noch einmal unterstrichen wird, dass die Federn den Raum unscheinbar einnehmen.

Das Bild symbolisiert die Herrschaft über Luft und Erde. Der Soldat mit seiner Lanze bewacht das Schloss. Er ist begleitet von seinem Wachhund, links neben ihm. Auf seinem Helm, dessen Visier geöffnet ist, sitzt ein Pfau. Seine Schwanzfedern richten sich in dieselbe Richtung wie der Blick des Soldaten. Es ist der Schweif des "Argusvogels" mit den Hunderten von Augen seines Gefieders und damit ein Hinweis auf die Unsterblichkeit. Der karge Baum neben dem Ritter steht im Kontrast zum dichten Blattwerk des hintergründigen Baumes am rechten Bildrand. Der Baum vorne verliert sein Laub. Die Vögel fliehen aus der Krone. Es ist ein toter Baum, der eine Seite des Dreiecks ausmacht, dieser archaischen Komposition des Ritters.

Die Vegetation um den Ritter herum jedoch strotzt geradezu vor Energie. Die Tiere versammeln sich und die drei Lilien im rechten Bildvordergrund beschreiben einen paradiesischen Zustand. Den ungehinderten Weg dorthin unterbindet der Ritter mit seinem Schwert, indem er den Weg zum Wasser und den Weg des Wassers zu ihm unterbricht. Der Wasserfall steht symbolisch für den Sündenfall, der Ritter in diesem Zusammenhang als "Erzengel mit gezücktem Schwert", als denjenigen, der als Schutzpatron über allem steht. Unterhalb des Baumes und des Schwertes harrt ein affenähnliches Tier mit einem Hundekopf. Es weist auf die kulturelle und soziale Überlegenheit des Ritters hin.

Aufgrund der Wappeninsignien und anderer Detail ist man in der Kunstwissenschaft zu der äußerst wahrscheinlichen Annahme gelangt, dass es sich hierbei um das Porträt des zwanzigjährigen Francesco Maria della Rovere, des adligen jungen Heerführers und späteren Herzogs von Urbino, handelt. Dieses Werk wurde stellvertretend zum idealisierten Musterbildnis vieler bedeutender Humanisten, deren Tugendvorstellungen offenkundig unter dem Motto standen: "Besser sterben, als die Ehre verlieren".


Albrecht Dürer (1471 - 1528)

Albrecht Dürer

Selbstbildnis im Pelzrock (1500)

Öl auf Lindenholz (67,1 x 48,9 cm)

Alte Pinakothek München

Bildquelle: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:20171017194217!D%C3%BCrer_-_Selbstbildnis_im_Pelzrock_-_Alte_Pinakothek.jpg


Der Nürnberger Maler Albrecht Dürer (1471 – 1528) malte sich selbst im Jahr 1500 im Pelzmantel. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner →Selbstbildnisse machte er dieses sein Leben lang nicht öffentlich, denn das Aufsehen wäre wohl zu groß gewesen. Das Außerordentliche dieses Porträts wird erst klar, wenn man sich in die Zeitumstände hineinversetzt: Im vorangegangenen Mittelalter war alle Fähigkeit darauf verwendet worden, die christliche Religion zu preisen, Bildnisse Lebender gab es kaum; gängig waren lediglich →Stifterbildnisse, kleine betende →Profilfiguren von Adligen, die das Bild bezahlten und so Teil von Heiligenbildern wurden, die in der Regel aber keine →Porträtähnlichkeit hatten. Bei den selteneren privaten Bildnissen der frühen →Renaissance wurden die Figuren in den allermeisten Fällen im →Profil oder im →Dreiviertelprofil – leicht vom Betrachter weggedreht – gezeigt. →Frontale Menschendarstellungen gab es nur im Bereich der Heilligen, besonders bei Christus und Maria. Und nun stellte sich ein Handwerker – als diese galten Maler im 14. und 15. Jahrhundert – frontal, mit einer Handhaltung, die an eine Segnungsgeste auf Christusdarstellungen erinnert, so lebensecht dar, dass man jede Wimper einzeln erkennen kann. Sein eigentlich blonder Haarschopf erscheint außerdem braun, so wie man es für Jesus annahm. Der Maler aus der Mittelschicht einer Handelsstadt erhebt sich damit zum Heiligen, zum Schöpfergenie, als das er sich selbst versteht. Der Skandal dieser Gotteslästerung wäre vorprogrammiert gewesen. Dass Dürer jedoch überhaupt auf den Gedanken kam, sich so zu malen, dass er das Selbstbewusstsein hatte, sich als Mensch so zu verewigen, und dass schon wenige Jahre nach seinem Tod das Bildnis wohl im Nürnberger Rathaus aufgehängt wurde, zeigt, wie sehr sich die Gesellschaft der Renaissance gegenüber dem Mittelalter verändert hatte. Der Beginn der Neuzeit markiert also auch eine steigende Bedeutung des Individuums gegenüber dem alten Weltbild und vor allem der Religion – und dies zeigt sich gerade in der Bildniskunst.

Sein Selbstbildnis verkörpert die Erscheinung und Autorität Christi. Der Schöpfungsbericht besagt nicht nur, dass die Welt nach idealen Proportionen eingerichtet wurde, sondern auch, dass Gott den Menschen nach seinem Abbild geschaffen hat. Mit diesem Selbstbildnis setzt Dürer die Kraft göttlichen Schöpfertums mit menschlichem gleich. Damit hat er zur Jahrtausendwende das künstlerische Programm des neuen Jahrhunderts formuliert. Mit Dürer trat erstmals ein deutscher Künstler nördlich der Alpen in Erscheinung, der zu einem künstlerischen Selbstverständnis nach dem Vorbild der italienischen Renaissance gelangte. Damit begründete er das Auftrten des isolierten Porträts.


Albrecht Dürer, 1500

Selbstbildnis im Pelzrock

Detail: linkes Auge des Betrachters

Bildquelle: http://syndrome-de-stendhal.blogspot.com/2012/04/stolze-bescheidenheit.html

Für die Deutung der Frömmigkeit spricht auch das bemerkenswerte Detail, dass sich in den Augen des Porträtierten ein Fensterkreuz spiegelt. Dies ist ein symbolträchtiger Verweis auf das Auge als Spiegel der christlichen Seele.