Die Renaissance des Satteldaches

Das Giebeldach wird von ambitionierten Bauherren und Architekten häufig als langweilig geschmäht und verkannt. Doch immer häufiger kommt es vor, dass das spitze Dach eine vielschichtige Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart bedeutet.

Das Haus vom Nikolaus gilt unter Architekten nicht unbedingt als Nonplusultra an Kreativität. Der archetypischen Form aus Quadrat und Spitzdach haftet etwas Provinzielles an, erinnert sie doch allzu sehr an Siedlungshäuser auf der grünen Wiese, geistige Enge und schmale Budgets. Wer auf sich hält, baut heute lieber im Stil der klassischen Moderne oder versucht sich an Retrolook mit Gesimsen, Stuck und Säulen, auch und gerade, wenn es um Wohnhäuser geht.

Doch manches Grundstück lässt keine andere Wahl als das vermeintlich geisttötende Satteldach. Teilweise erweist sich diese Beschränkung sogar als Glück. Tatsächlich, so machen es aktuelle Bauprojekte deutlich, lädt das spitze Dach ein, spielerisch und kreativ mit dem architektonischen Erbe umzugehen. Findige Architekten demonstrieren daran, dass der gern gesetzte Gegensatz von historisch und modern keiner sein muss und dass zwischen beiden Polen zahlreiche Zwischentöne möglich sind. Statt „Copy and Paste“ historischer Formen setzen sie auf Variation und Humor und verpassen dem Haus vom Nikolaus ein Augenzwinkern. Geschichte, so ihre Botschaft, muss nicht zugunsten der Gegenwart ausgelöscht werden. Sie darf mit zeitgenössischen Mitteln, mit Hightech und neuen Materialien weiter gebaut und neu interpretiert werden.


RICHARD NEUTRA (1892 - 1970) Klassische Moderne

Kalifornische Bungalows in Quickborn bei Hamburg

Hier gelangst du zur Webseite der Richard J. Neura Gesellschaft.


Neutra geht nach Amerika (1923)

Als Richard Neutra 1931 das „Researchhaus“ entwarf, war das ein Prototyp für technische Neuheiten, der selbst im technologisch versierten, komfortgewohnten Amerika Neutra für lange Zeit den Ruf eines phantasievollen Technikers und wagemutigen Architekten einbrachte. Mit diesem Haus hat er seine späte Karriere in den Staaten begründet. Nach Wien, wo ihn Otto Wagner, Adolf Loos und Sigmund Freud beeindruckten, und nach Berlin, wo er mit Erich Mendelsohn zusammenarbeitete, ging er 1923 nach Amerika. Er begegnete in Chicago Louis Sullivan und Frank Lloyd Wright und traf später auch Walter Gropius, Mies van der Rohe und andere Wegbereiter der Architektur des 20. Jahrhunderts wieder, die in Amerika ihr Arbeitsfeld gefunden hatten.

Siedlung in Quickborn (1963)

"Die Richard-Neutra-Bauten passen zu Quickborn wie ein Iglu in die Wüste", hat Quickborns Bürgermeister einmal gesagt und so erzählen es sich gerne die Bewohner der Siedlung. Das Zitat zeigt, wie stiefmütterlich die Stadt vor den Toren Hamburgs mit ihrem Architektur-Schatz umgeht. Erst seit Sommer 2016 stehen dort zwei Stelen, die auf die Bedeutung der Bungalow-Siedlung hinweisen. Dort wird die Siedlung als "einzigartiges Zeugnis innerhalb der europäischen Nachkriegsmoderne" beschrieben.

 

Anfang der 1960er-Jahre hatte Neutra von der Hamburger Wohnungsbaugesellschaft "Bewobau" den Auftrag für eine Bungalow-Siedlung in Quickborn erhalten.

 

Die Neutra-Bauten auf der Quickborner Marienhöhe entstanden in den Jahren 1962 und 1963. Aber von den ursprünglich 190 geplanten Bungalows ist nur etwa ein Drittel gebaut worden, da sich die Häuser nicht gut verkauften.

 

Die Neutra-Häuser waren zu dieser Zeit für die damalige architektonische Linie Quickborns zu avantgardistisch. Die großen Glasflächen waren ungewohnt. Zudem waren die Häuser recht dicht aneinander gebaut, gemessen am vorherrschenden Villen-Ideal der solventen Bewohner des Viertels. Nur zwölf der 67 Grundstücke sind größer als 1.000 Quadratmeter, 44 Häuser stehen sogar als Zwillingsbauten Wand an Wand. Zudem waren die Bauten teuer, weil sie höchsten Ansprüchen genügen sollten. Insgesamt suchte man finanzkräftige und zugleich intellektuell anspruchsvolle Kunden.


WALTER GROPIUS  (1883 - 1969)

Architektur der Neuen Sachlichkeit - BAUHAUS

Die staatliche Kunst- und Designschule Bauhaus entstand 1919 in Weimar. Walter Gropius (geb. 1883) war ihr Gründer und Direktor. In den 1920er Jahren herrschte in Deutschland Wohnungsnot. Nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs traten Visionäre wie er auf den Plan, welche die Welt neu dachten. Sie lieferten mit ihren Ideen einen Gegenentwurf zu den düsteren und desolaten Mietskasternen. Es war eine Zeit voller Umbrüche und Utopien. Gropius verwirklichte den Plan, in der Schule die Grenze zwischen Handwerk und Kunst aufzuheben. Der Sinn dieser Vereinigung war, eine Verzahnung zwischen Nur-Künstlern und Kunsthandwerk herzustellen. Es entstand ein revolutionäres Konzept das heute sogar noch einen stärkeren Bedeutungsgehalt für die Architektur hat als damals. Das Konzept der Bauhausarchitektur wird als mustergültig begriffen, wenn es um ganzheitliche Architektur geht. Technische Mängel wurden inzwischen behoben, das Grundkonzept aber übernommen, wodurch es zum Inbegriff für zeitgemäße und Design-orientierte Architektur wurde. Das Bauhaus wurde bereits 1933 unter NS-Druck aufgelöst.

Walter Gropius sah in der Architektur nicht nur die formale Funktion von Wohnen, sondern den Anspruch eines ganzheitlichen Konzeptes, das auf die Bedürfnissen eingeht in welchem Raumfolgen ineinander übergehen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass zur Architektur der Baukörper auch die Innenarchitektur gehört. Das Design reicht bis ins kleinste Detail, bishin zur Seifenschale und zum Türgriff. Die Architektur sollte bezahlbar sein: Volksbedarf statt Luxusbedarf. Es wurde in Serie gefertigt und die Architektur auf seine Funktionalität reduziert. Die Maxime lautete Form Follows Funktion. Tägliche Handlungsabläufe wurden untersucht und maßgültig festgehalten. So konnten Räume entworfen werden, die flexibel aber platzsparend auf die Bedürfnisse reagierten. Alles musste passen und perfekt auf die Abläufe angepasst werden. Das Design sollte der breiten Masse zugänglich gemacht werden. Durch hohe Produktionsauflagen konnte der Preis gesenkt werden. Nach einem Baukastenprinzip wurden Modulbauten entworfen und gefertigt. Eines der ersten Bauprojekte nach diesen Grundsätzen war die Arbeitersiedlung Dessau-Törten: Ihre 88 Reihenhäuser wurden zwischen 1926 und 1928 errichtet, in nur eineinhalb Bautagen pro Haus. Da das Baugelände guten Bausand und Kies enthielt, entschloss Gropius sich zu einer eigenen Betonbauweise. Damit erreichte er, dass die an die Baustelle zu transportierenden Massen niedrig blieben. Die Bauteile sind an Ort und Stelle angefertigt worden. Der Produktionsvorgang glich einer fließbandartigen Herstellung der Wandplatten und Betondeckenbalken. Gropius folgte auch dem Grundsatz, "einen und denselben Mann immer wieder für die gleiche Bauphase in jeder Hausgruppe einzusetzen und dadurch die Leistung zu steigern". Um das Ineinandergreifen der einzelnen Bauphasen im Rohbau und Ausbau von vornherein sicherzustellen, wurde ein genauer Zeitplan nach Art der Eisenbahnbetriebspläne aufgestellt. Im Jahr 1926 wurden sechzig, 1927 hundert und 1928 hundertsechsundfünfzig Häuser erbaut.

Die Siedlung Dessau-Törten wurde, obwohl ihre Planung ein persönlicher Auftrag von Gropius war, im allgemeinen als ein Werk des Bauhauses angesehen. Sie repräsentierte gewissermaßen die Vorstellungen des Bauhauses vom Siedlungsbau für jedermann. Insofern bedeutete sie eine wichtige Ergänzung des mit dem Bauhaus-Gebäude und den Meisterhäusern demonstrierten Architekturprogramms. Die Siedlung war bestimmt für Angehörige der Arbeiterschicht, die darauf angewiesen waren, sich durch Gartenbau und die Haltung von Kleinvieh einen zusätzlichen Verdienst zu verschaffen. Dessau-Törten wurde als halbländliche Siedlung mit zweigestöckigen kleinen Einfamilienhäusern in der Reihe und angrenzenden Gartengrundstücken konzipiert.

Ausgehend von der Wohnungsnot entstanden an unterschiedlichen Standorten Deutschlands neue Wohnsiedlungen, wie beispielsweise die Ring-Siedlung in Berlin Steglitz, Berlin Siemensstadt. Hier wurde Wohnraum für die Arbeiter in den Siemenswerken geschaffen. Die industrielle Moderne verlangte neben Wohnraum auch nach menschlichen Freiräumen. Die Urtypen der Bauhausarchitektur gingen bewusst mit Licht, Luft und Sonne um. Diese Maxime steht auch als Inbegriff für die Architektur der Moderne und findet sich in der Ringsiedlung Steglitz wieder. Die Urtypen sind mustergültig für die Meisterhäuser in Dessau, dem zweiten Standort der Kunstschule.

Architektonische Stilelemente des Bauhauses waren:

  • eine kubische Formensprache
  • Flachdach ohne Dachvorsprung
  • schlichte reduzierte Architektur
  • weiße Putzfassaden, dunkle Fenster, evtl. graue Farbflächen
  • Luftbalkenarchitektur, die den Baukörper mit dem Außenraum verbindet
  • Innen: flexible, passgenaue Einbaulösungen

In der Folge sind vor allem Mehrfamilien- und Reihenhäuser entstanden, in deren übersteigerten reduzierten Formsprache sich zum Teil  kaum noch Merkmale des künstlerischen Bereiches wiederfinden lassen. Kritiker des Bauhauses werfen seiner gestalterischen Linie vor, Plattenbauten zu errichten. Den Unterschied zwischen beiden Bauweisen formuliert jedoch die entscheidende Komponente des künstlerischen Anteils. Dieser stellt sich in der Formensprache dar. Die Meisterhäuser des Bauhauses  waren und sind bis heute tatsächlich repräsentative Musterbeispiele geblieben. Die zeitgemäße moderne Architektur greift wenstliche Eigenschaften auf, ob bei der Konzeption von Villen oder in der Städteplanung.


Kontroversen

Das Bauhaus war den Nationalsozialisten wegen seiner freiheitlichen Gesinnung, die sich weder mit ihrem Radikalismus im Politischen noch mit ihrem Konservativismus vereinbaren ließ, verhasst. Durch Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und seiner damit verbundenen Machtergreifung am 30. Januar 1933 wurden in den folgenden Monaten rechtsstaatliche Normen umgestoßen. Die Bauhaus-Meister bekamen dies zu spüren, als die Stadt Dessau die Gehaltszahlungen abrupt einstellte, zu denen sie vertraglich verpflichtet war. Um Belastungsmaterial gegen den verdienstvollen Bürgermeisters Hesse zutage zu fördern und um ihn auf diese Weise ausschalten zu können, ordnete die Dessauer Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung des „kommunistischen“ Berliner Bauhauses an. Dieser Willkürakt war ein vernichtender Schlag gegen die Kunstschule. Am 11. April 1933, das Sommersemester hatte soeben begonnen, wurde das Bauhaus Berlin im Auftrag der Dessauer Staatsanwaltschaft von Berliner Polizisten und Hilfspolizisten (SA) nach kommunistischen Propagandamaterial, das hier angeblich verborgen liegen sollte, durchsucht. Die Maßnahme war in erster Linie gegen Fritz Hesse gerichtet, gegen den, aber auch gegen das Bauhaus selbst, in Dessau ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden war. Da es im Bauhaus keine versteckte illegalen Druckschriften gab und auch keine gefunden wurden, nahm die Polizei, um nicht unverrichteter Dinge abziehen zu müssen, zur Überprüfung der Personalien die Studierenden, die sich nicht ausweisen konnten, fest. Die Türen der Kunstschule versiegelte sie, so dass es, zumindest offiziell, nicht mehr betreten werden konnte. Der Öffentlichkeit gegenüber wurde behauptet, es seien mehrere Kisten mit verbotenen Drucksachen beschlagnahmt worden. Am 20. Juli war von der Lehrerkonferenz in Anbetracht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und in der Erkenntnis, dass das Bauhaus im „Dritten Reich“ nicht zu halten war, die Auflösung des Instituts beschlossen. Am Folgetag wurde Ludwig Hilberseimer und Wassily Kandinsky von der Geheimen Staatspolizei das Verbot zu Lehren erteilt.

 

Zwar wurde das Bauhaus von den Nationalsozialisten formal zerschlagen, doch ausgelöscht werden konnte sein Ideengut nicht. Übrigens auch nicht unter den Nationalsozialisten, bei denen die Funktionalität des Bauhauses bei der Umsetzung ihrer Industriebauten Anklang fand. Auch waren etliche der Bauhausabsolventen und Absolventinnen nach der Schließung der Kunstschule in Dessau tief in nationalsozialistische Dimensionen involviert gewesen. Beispielsweise die berüchtigte Inschrift "Jedem das Seine" auf dem Lagertor des Konzentrationslagers Buchenwald wurde von dem Bauhaus-Schüler Franz Ehrlich entworfen. Als Häftling war er dort von 1937 bis 1939 als Architekt eingesetzt worden. Bei der typografischen Konzeption des Schriftzugs orientierte sich Ehrlich an seinem Lehrer, dem Bauhaus-Meister Josef Schmidt.


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