ZEITGENÖSSISCHE KUNST

Neo Rauch (*1960)

Die Bildsprache Neo Rauchs und Frank Hauptvogels zeigt gelegentlich Parallelen. Dies ist nicht sonderlich verwunderlich, denn beide Maler waren Meisterschüler bei Arno Rink an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Neo Rauch ist der ruhmreichere beider und gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Maler der Gegenwart.

 

In beiden Werken wird thematisch auf die Figur zugegriffen. Die Arbeiten erscheinen märchenhaft, mystisch. Die Haupt- und Staffagefiguren stehen in einer Konstellation zu sich selbst und ihrer Umgebung und wirken dabei dennoch isoliert. Die Szenen sind verrätselt.




Facts

Der gebürtige New Yorker Jean-Michel Basquiat gilt nicht nur als Kunstikone der 1980er Jahre, sondern auch als einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Seine Werke zeigen Einflüsse von griechischer, römischer und afrikanischer Kunst, sie tragen Nuancen von Jazz-Musik, moderner Popkultur und zeitgenössischen Strömungen in sich. Als Jean-Michel Basquiat zum weltweit gefeierten Kunststar aufstieg, waren seine Arbeiten schon legendär in den Straßen von New York.

Die gestische und unmittelbare Arbeitsweise Basquiats hat oft dazu geführt, dass seine Malerei als Neoexpressionismus bezeichnet wurde. Der Schichtenaufbau der Gemälde, deren Oberflächenverletzungen, die Zusammenarbeit mit Andy Warhol, das Sampeln eigener früherer Bildideen und das Wechselspiel von radikaler Leere und Horror vacui, stehen dagegen. (Horror vacui bezeichnet in der Kunst den Wunsch, alle leeren Flächen, besonders in der Malerei und im Relief, mit Darstellungen oder Ornamenten zu füllen.)

Seine Bilder erinnern teilweise an schwarzafrikanische Volkskunst, teilweise an ein Sammelsurium der Straßen- und Gebrauchskultur nordamerikanischer Großstädte. Ähnlich mannigfaltig sind die Materialien und Techniken, die er verwendete. Er konnte alles zur Produktion von Bildern verwenden. Er benutzte in seinen Arbeiten vorgefundene Worte, Zeichen und Piktogramme, die er „facts“ nannte.

„Meine facts hole ich mir aus Büchern. Sachen über Zerstäuber, den Blues, Methylalkohol, Gänse im ägyptischen Stil. Ich beziehe meine Anregungen aus Büchern. Was mir gefällt, erscheint in meinen Bildern. Ich übernehme nicht die Verantwortung für meine facts. Sie existieren ohne mich. Eine Speisekarte in einem Restaurant ist ein Bild. Vielleicht esse ich den Schweinebraten nicht, aber sein Bild lebt weiter. Das Menü, die Schrift, sie existieren weiter ohne mich“.

Das Verbinden verschiedener bildgebender Elemente ist ein integraler Bestandteil der Kunst Basquiats. Seine Bilder sind in der Regel mit Wörtern, Buchstaben, Zahlen, Piktogrammen, Logos, Symbolen, Karten, Grafiken und mehr bedeckt.

Digitale Malerei

« In meiner Malerei verhandele ich Bilder, die schon existieren und befreie sie von ihrem Narrativ und ihrer Funktion. »

Peter Vahlefeld

Peter Vahlefeld wurde in Tokio geboren und lebt derzeit in Berlin, wo er sich mit Malerei und digitalen Medien beschäftigt. Er studierte an der Parsons School of Design, New York, die er 1990 mit Auszeichnung absolvierte. Vahlefelds Kunst befasst sich mit der Bedeutung von Bildern in unserer Gesellschaft und deren ständige Verbreitung. Der Künstler verwendet populäre Motive des öffentlichen Lebens und recyceltes Material für seine Werke. Indem er Abbildungen aus Werbung und Kunst mit Ölfarbe bemalt und übermalt erforscht und verändert er deren ursprüngliche Bedeutung. Er arbeitet mit unterschieldlichen Materialien (Mixed Media), er collagiert, er decollagiert, er übermalt und unterlegt seine Bilder um eine Vielschichtigkeit herzustellen.

In seiner Arbeit leitet ihn das Interesse für die Mediatisierung der Kunst. In seinen Bildern geht es um die Manipulation, Wiederverwendung und das Verschwinden von Bildern, kombiniert mit gestischer Abstraktion. Er malt, druckt, übermalt und kombiniert Farben und Techniken, um den Werken ihre besondere atmosphärische Qualität zu verleihen.

Farben, geometrische Ordnungen und Unordnungen sind dabei seine ständigen Anliegen. Zu Beginn seines Werkprozesses versucht er immer einen visuell ansprechenden Untergrund vorzubereiten. Diesen entwirft er digital und lässt ihn auf die Leinwand drucken. Er dient ebenso als Schablone für die nächsten Farbschichten. Das Arbeiten mit Schichten ist Vahlefeld besonders wichtig. Seine Arbeiten enthalten Zitate, nicht berühmter historischer Gemälde der Kunstgeschichte, sondern ihrer jeweiligen Marketingkampagnen von Blue-Chip Galerien und Auktionshäusern. Mit visuellen Mitteln wie Wiederholung, Löschung und Verschleierung unterstreicht er formal Qualitäten seiner eigenen Interpretation in Bezug auf das Original. Er begreift Kunst als Konstrukt und fordert mit seinen Arbeiten die kunsthistorische Autorität heraus.


Ameise der Kunst

Meese versucht in seinen Arbeiten auf bisweilen aggressive Weise, deutsche Mythologie und „deutschen Wahn“ zu thematisieren. So sind seine Installationen mit einem Vokabular wie „Erzreligion Blutlazarett/Erzsöldner Richard Wagner/Privatarmee Ernte und Saat/Waffe“ versehen. Hierbei zeigt er sich auch formal als Epigone von Anselm Kiefer.

„Alles ist Spielzeug. Das ist alles gewesen. Ob Kommunismus, Nationalsozialismus, das alte Ägypten oder das alte Rom, nichts kommt wieder. Von der Straße kann ich mir auch keine Revolution mehr erhoffen, der Mensch schafft das nicht. Wir sollten etwas anderes sich lostreten lassen, der Vulkan der Kunst möge ausbrechen.“

Im Zusammenhang der erhöhten Bühnenpräsenz rief Meese insbesondere in Interviews und Manifesten und mit bildnerisch-künstlerischen Mitteln eine „Diktatur der Kunst“ aus.

„Bei der «Diktatur der Kunst» geht es um die liebevollste Herrschaft einer Sache, wie Liebe, Demut und Respekt, zusammengefasst und gipfelnd in der Herrschaft der Kunst. In der Allmacht der Kunst geht es nicht um das Machtgehabe des Künstlermenschen oder um die Machtfantasien von Selbstverwirklichern und Realitätsfanatisten, sondern um die antinostalgische, alternativlose Macht der Kunst, also der Sache. Kunst stellt die Machtfrage, nicht der Künstler.“

Dabei vertritt er mit der Diktatur einen elitären Anspruch der Kunst und grenzt diese entschieden von allem Gebrauchswert und Gefälligen ab. 2012 sagte er in einem Kunstgespräch zum Thema zeitgenössische Kunst mit besonderem Bezug zur documenta: „Ich leide darunter, dass mir irgendwelche Skulpturen als Kunst verkauft werden, aber in Wahrheit Design sind. Ich leide darunter, dass mir beschissene Malerei gezeigt wird, die in Wirklichkeit hochgepushte Illustration ist.“

 

Dabei hebt er immer wieder die Demut hervor und stellt sich als eine „Ameise der Kunst“ dar, die ohnehin nur ausrufe, „was alternativlos ohnehin passieren wird. In der Diktatur der Kunst regiert die Sache, wie Licht, Atmung, Gelee, Liebe oder totale Schönheit, wie z. B. Scarlett Johansson.


Körperlandschaften

In einer Gesellschaft, die von physikalischen Erscheinungen besetzt ist, hat Saville eine Nische für übergewichtige Frauen in zeitgenössisch visueller Kultur geschaffen. Die Künstlerin ist bekannt für ihre massigen und großformatigen, nahezu monumentalen Ölgemälde. Durch die Größe erzeugt sie Intimität. Saville gebraucht eine pastose Malweise und benutzt vorwiegend roter Farbklänge. Sie bedient sich beim Arbeiten vor allem klassischer Ausdrucksformen wie der figürlichen Malerei. Sie spricht selbst von einer Anlehnung an Peter Paul Rubens. Ebenso bezieht sich die Künstlerin auf medizinische Magazine, die sie studiert, um die Details von Fleischfarben, blaue Flecken, Venen etc. zu verinnerlichen. In einer von technischem Fortschritt gekennzeichneten Gesellschaft bleibt sie meist der Ölmalerei treu.

Besonders der Realität Räumt Saville in ihrer Arbeit viel Gewicht ein und brüskiert darin das allgegenwärtige, weichgespülte Bild der Wirklichkeit, das von den Medien generiert wird. In Öl gefasste Körperlandschaften entstehen die von unförmiger Staffage dominiert werden. Diese, meist Frauen, stellt sie unförmig, deformiert, manchmal gesichtslos dar. Die gewaltigen Körper sind umspannt von Haut, die gefleckt und geschunden ist. Damit verweist sie auf weibliche Schönheitsideale und verweigert sich damit einer ausdruckslosen, immer gleichen Schönheit.

Jenny Saville wurde 1970 in Cambride, England geboren und lebt und arbeitet heute in New York, USA. Sie ist in ihrer Auseinandersetzung von Cindy Sherman beeinflusst.



Geschlechterklischees

Cindy Sherman ist eine amerikanische Fotografin und Filmemacherin, die sich in Selbstporträts mit Geschlechterklischees und Identität auseinandersetzt. Charakteristisch für ihr Werk ist der Einsatz ihres eigenen Körpers in bestimmten Rollen. Geboren unter dem Namen Cynthia „Cindy“ Morris Sherman am 19. Januar 1954 in der Gemeinde Glen Ridge im Bundesstaat New Jersey zog Sherman in den späten 1970er Jahren nach New York, wo sie weiterhin lebt und arbeitet. Sie lotet weiterhin weibliche Typologien aus und verwendet häufig aufwendige Verkleidungen in ihren großformatigen Farbfotografien. Sherman wird häufig zur Pictures Generation gezählt, einer Gruppe von Künstlern, zu denen auch Sherrie Levine und Robert Longo gehören. Ihre markante Mischung aus Selbstinszenierung und Fotografie ist aber fraglos einzigartig.

In verschiedenen Porträtreihen setzte sich Cindy Sherman konzeptuell selbst in Szene (Inszenierung). Schon als Kind liebte sie Verkleidungen, was sie als "zutiefst menschliches Verlangen" bezeichnete. Internationale Bekanntheit erreichte sie mit ihren durch Softpornos und Film-Klischees inspirierten Porträts der Serie "Untitled Film Stills" Ende der 1970er-Jahre. Darin zu sehen gibt es Hausfrauen, 50er-Jahre-Reklame-Girls, Vamps oder depressive Damen der 40er-Jahre. Die technische Unvollkommenheit ihrer Abzüge wurde ihr dabei ein bewusstes Stilmittel.

Sherman klagte mit ihrer Fotoserie "Sex Pictures" u.a. das Sexgewerbe an. Mittels einer Unisexpuppe zeigte sie beispielsweise abstoßende Praktiken und Posen des Sexuallebens. Auch verzierte sie Prothesen oder Körperteile, die eigentlich für medizinische Studienzwecke gedacht waren, mit erotischen Accessoires und setzte sie so in Szene, als würden sie Pornografie darstellen.

Faszination und Desillusionierung charakterisieren in besonderer Weise die Serie der „Headshots“. Cindy Sherman verkörpert in dieser Serie Frauen mittleren Alters, die noch einmal ihre jugendliche Attraktivität beschwören und zugleich Gefangene ihrer Lebenszeit sind. Sie präsentieren sich in absichtsvoller Selbstverständlichkeit vor einer Kamera, die die ungewollte Vermischung von gewünschter und wahrhaftiger Erscheinung enthüllt. Sherman spielt auch hier geschickt mit einer Ambivalenz an Faszination und Ekel.

Selbstinszenierung - Selbstverleugnung

Im Gegensatz zum Auftragsporträt, bei dem der Künstler eine vermittelnde Zwischendistanz einnimmt, ist er bei der Selbstdarstellung durch seine Subjektivität befangen. Das Selbstporträt kann daher als malerisches Experimentierfeld gedeutet werden, als psychologische Studie um sich über die eigene Existenz Klarheit zu schaffen. Vielleicht ist es die anhaltende Suche nach der Identifikationsfindung? Was bleibt ist das künstlerische Ergebnis als Zeugnis des Einmaligen, eine Momentaufnahme dieser Selbstwahrnehmung. Der Künstler hat nicht nur die Gelegenheit, sich so abzubilden, wie er sich selbst wahrnimmt, sondern auch wie er wahrgenommen möchte. Die Analyse historischer Künstlerselbstinszenierungen zeigt, dass das Reflektieren um die Positionierung des Künstlers im öffentlichen Leben als Triebfeder gedeutet werden kann. Dabei fließen Wunschbilder und Idealbilder mit ein.

Dieser Film stellt fünf bedeutende zeitgenössische Künstler gegenüber, die sich alle in ihrem Arbeitsfeld dem Selbstporträt verschrieben haben. Welche Bedeutung das Selbst und das Ich in der Auseinandersetzung einnimmt wird hier anschaulich dargelegt.

Cindy Shermans fotografische Verwandlungen bleiben wohl unangefochten die populärsten Selbstinszenierungen der Gegenwart. Die Deformationen Francis Bacons im Selbstbildnis hingegen stehen den Werken der österreichischen Malerin Maria Lassnigs symbiotisch nahe gegenüber. Die Fränzösin ORLAN wählt hingegen ihren eigenen Körper als stetiges sich wandelndes Werk und ist damit der Body-Art zuzuschreiben. Ihr Atelier ist vor Allem der Operationssaal, die Fotografie dokumentarisches Werkzeug. Der wahrscheinlich exentrischste Künstler Deutschlands ist momentan Jonathan Meese, der sich ebenfalls immer wieder in seinen Bildern selbst darstellt. Dieses mannigfaltige "Ich", das seine Figur mit sich bringt, bannt er nahezu im Akkord auf der Leinwand.



Illustrator, Maler, Fotograf, Provokateur

Gottfried Helnwein beginnt im Jahre 1969 sein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Er wird Meisterschüler in der Klasse von Rudolf Hausner, einem der bedeutendsten Vertreter der Bewegung "Phantastischer Realismus", und erhält 1970 den Meisterschulpreis.

Es folgen zwei renommierte Preise (1971 und 1974). Die für Hausner typische technische Brillanz hat starken Einfluss auf die Arbeit Helnweins. So entstehen bereits während seiner Studienzeit die ersten hyperrealistischen Gemälde von verwundeten und gequälten Kindern.

Helnweins Aktionen und Ausstellungen provozieren und rufen immer wieder Stürme der Ablehnung hervor. Eine Ausstellung muss sogar wegen heftiger Proteste wieder abgebrochen werden. Dies sind Begebenheiten, die an das Unverständnis erinnern, das Malern wie Schiele oder Munch zu Lebzeiten entgegengebracht worden ist.

Ende der 70er Jahre setzt sich Helnwein zunehmend mit Figuren der Trivialkultur auseinander. Sein erklärtes Vorbild ist Walt Disney. Ebenfalls in diese Zeit fallen die ersten Entwürfe für Plakate, Plattencover und Zeitschriften (u.a. Spiegel, Stern, Time, Lui, Playboy). Diese Auftragsarbeiten für die Massenmedien nehmen einen immer größeren Raum in seiner Arbeit ein und liegen ihm besonders am Herzen, da er so ein breiteres Publikum erreichen kann, das über den Kunstbetrieb hinausgeht. Helnwein wird zu einem der gesuchtesten internationalen Illustratoren.

1982 lehnt er ein Angebot für einen Lehrstuhl an der Hamburger Fachhochschule für Gestaltung ab. 1985 zieht Helnwein nach Deutschland und beginnt großformatige Fotos mit abstrakt-gestischer Malerei zu verbinden. Seit 1997 lebt und arbeitet Gottfried Helnwein in Irland. 2004 findet die Einzelausstellung "Helnwein, The Child" im Fine Arts Museum in San Francisco statt und 2005 eine Retrospektive im Chinesischen Nationalmuseum der Künste und in der Verbotenen Stadt in Peking.

Helnwein lehnt sich gegen das Schweigen im Nachkriegsösterreich auf. Er wählt das Kind in seinen düsteren Darstellungen um bei dem Betrachter den Verdrängungsmechanismus außer Kraft zu setzen. In seinen Inszenierungen stehen oft seine eigenen Kinder Modell. Helnwein arbeitet hypernaturalistisch. Seine großformatigen Bilder bestechen durch ihre Präzision. Mit der monumentalen Größe und ungeschönten Realität konfrontiert er den Betrachter. Seiner Auffassung nach ist Kunst (nach Duchamp) ein zweipoliges Produkt, das zur einen Hälfte aus dem Künstler selbst und zur anderen Hälfte aus dem Rezipienten besteht. Zwischen diesen beiden Polen muss Spannung entstehen.



Helnwein und das Porträt

Helnwein schöpft alle technischen Möglichkeiten aus, um seine Kunst einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Durch sein sorgfältig kalkuliertes Auftreten und seine ausgewählte Kleidung macht er schließlich sogar seine eigene Person zu einem populären Idol. Helnwein ist für seine morbiden sowie sozial- und gesellschaftskritischen Motive bekannt. Sein Name steht für penetrant hypernaturalistische Darstellungen. Oft kann der Betrachter nicht gleich erkennen, ob es sich bei seinem Werk um eine Fotografie oder eine Malerei oder ein übermaltes Foto handelt.

Helnwein möchte mit seinen Bildlösungen allgemeingültige Aussagen treffen. Seine aussagefähigen Botschaften erleichtern dem Betrachter eine aktive Beteiligung an der Auseinandersetzung mit seiner Kunst. Er möchte seine Bilder nicht als „Gefangene in Museen oder Galerien“ sehen, sondern in der Öffentlichkeit. Damit regt Helnwein Kommunikationsprozesse an, die über den ästhetischen Bereich hinaus soziale sowie politische Beziehungsebenen berühren. Seine Werke haben eine einprägsame Bildsprache.

Helnwein zeigt sich in seinen Selbstbildnissen häufig entstellt, mit Verbandszeug und chirurgischem Besteck. er formuliert Schmerz, indem er sich mit grimassierender Mimik darstellt. Selbst unter dem Kopfverband oder mit Operationsklammern verdeckten Augen stellt er sein Gesicht zur Schau. Es ist in seinem Œuvre ein immer wiederkehrendes Motiv.

Zwei weitere Wiener Aktionskünstler, die ihren eigenen Körper im Zusammenhang mit Verletzung, Schmerz und Tod in Verbindung gesetzt haben, sind Herman Nitsch und Arnulf Rainer. Helnwein geht jedoch noch weiter. Er stellt nicht etwa Helnwein als Maler dar, verwendet das Selbstporträt Helnweins wie es verletzlich ist. Dabei überarbeitet er es unter Verwendung verschiedenster Formen der Fiktion. Diese Strategie findet auch in anderen Porträts Anwendung.


Zeit eliminieren

Das Porträt sowie das Selbstbildnis gehören zu den großen Themen der abendländischen Kunst. Fast jeder Maler hat sich zumindest einmal mit seinem eigenen Bildnis beschäftigt. Für viele war diese Beschäftigung eine andauernde Herausforderung. Bei Künstlern wie Albrecht Dürer, Rembrandt oder Max Beckmann lässt sich sogar auf eine Biografie in den Bildern zurückgreifen, so viele haben sie geschaffen.

Seit Mitte der 1960er Jahre hat sich besonders in Amerika ein eigenständiger Stil in der Malerei etabliert, der diesen Anspruch wieder aufgreift: der Fotorealismus. Er zeichnet sich durch die hypernaturalistische Darstellung aus. Chuck Close (1940 - 2021) war einer der bedeutendsten Fotorealisten weltweit. Sein Thema in der Malerei ist dem Porträt zuzuschreiben.

Das Wesen des Fotos ist es, aus seinem Bildgegenstand die Zeit zu eliminieren. Das Foto zeigt nur eine Ansicht und die steht unverrückbar fest. Das Wesen des Sehens ist es, Zeit erneut zu integrieren. Das Übertragen von Fotovorlagen ins Gemälde geschieht bei Chuck Close als zeitliches »Abschreiben«. Er vergleicht dies selbst mit dem Vorgang des »Strickens«. Close sucht gerade die Starre des festgehaltenen Moments im Foto. Es erlaubt ihm, ein zusätzliches stabilisierendes Netz aus kleinen Quadraten ins Foto einzuzeichnen. Er überträgt die Vorlage quadrat- und zeilenweise, von links nach rechts, von oben nach unten. Er legt sich dabei auf ein Koordinatensystem fest, wie es Dürer schon getan hatte.

Seine Porträts sind frei von Affekten. Sie wollen keinen Charakter herausbilden. Auch wenn der Mensch stets im Mittelpunkt seines Interesses steht, so geht er in der Darstellung nie über das Sichtbare hinaus und behandelt jedes äußere Merkmal mit der gleichen Aufmerksamkeit. In seinem Schaffensprozess wandeln sich dabei die chaotischen Strukturen der Außenwelt in ordnende Strukturen der Malerei.

Die Quadrierung eines Gemäldes ist ein traditioneller Vorgang in der Malerei um einen Entwurf in größere Dimensionen zu übertragen. Bei Close hat es aber eine andere Bedeutung. Die durch sein Liniensystem entstehenden Felder setzt er in einzelne Farbflächen um.

Indem Chuck Close Feld für Feld ausmalt und die jeweilige Farbigkeit eines Feldes dadurch erzielt, indem er die Farben, die seinen gewünschten Farbton ergeben würden, nicht miteinander vermalt, sondern in Kreisen und Strichen sowie Punkten nebeneinander setzt, verschmelzen die farbigen »Kuller« in der Distanz zu einer einzigen Fläche. Die Quadrate zergliedern nun die Oberfläche und unterwerfen jede Malvorlage einer prismatischen Brechung. Die Wahrnehmungsaktivität des Betrachters wird erheblich erhöht und das ehemals statische Bild gerät zur dynamischen Projektionsfläche.

Der Betrachter, der aus großer Distanz sich langsam einem seiner Porträts annähert, gelangt in der Betrachtung stufenlos vom scheinbar fotografischen Porträt zur reinen Malerei. Es gilt daher den für sich richtigen Abstand zur Betrachtung herauszufinden. Denn schnell stellt man fest, dass man entweder zu weit entfernt ist und das Gemälde wie eine große Fotografie erscheint, oder man aber zu dicht davor steht und nur noch einzelne farbige Quadrate mit ihren unregelmäßigen Mustern wahrnimmt.

Sehen ist Bewegung. In der Suche der richtigen Position zum Bild ist es wie der Fokus, mit der Suche nach der richtigen Brennweite. Dies macht das Betrachten seiner Bilder zu einem interaktiven Prozess.